
CEO mit 29 Jahren - Wichtige Learnings
Im Alter von 29 Jahren führte ich ein Logistikunternehmen mit 600 Mitarbeitenden als CEO in einen Turnaround. Dies war der erste Turnaround, den ich in leitender Position durchführte. Neben der sehr herausfordernden Unternehmenssituation trugen damals auch die Sprache des Unternehmens (Französisch) und mein relativ junges Alter zu einer spannenden Ausgangslage bei. Gerne nehme ich euch mit durch die Gedanken, die mir damals durch den Kopf gingen und möchte drei Learnings in Bezug auf das junge Alter und die Führungsposition mit euch teilen, welche ich aus dieser intensiven und interessanten Zeit mitgenommen habe.
Als mir damals die Stelle als Geschäftsleiter eines Westschweizer Logistikunternehmens mit rund 600 Mitarbeitenden angeboten wurde, arbeitete ich im Controlling, hatte Einsitz in der Geschäftsleitung eines Unternehmens und war über längere Zeit in einer Taskforce zur Krisenbewältigung eines Unternehmens tätig gewesen. Dadurch war mir das Thema Unternehmensführung zwar vertraut und trotzdem bedeutete diese Stelle aus der Führungs- und Verantwortungsperspektive einen grossen Sprung vorwärts für mich. Dazu kamen die schwierige wirtschaftliche Situation des Unternehmens und die Herausforderung der Sprache. Der Hauptsitz des Unternehmens war in Genf, die Mitarbeitenden sprachen mit wenigen Ausnahmen Französisch und ich bin zwar in der Nähe von Biel aufgewachsen, aber leider nicht billingue. Als Deutschschweizer in Genf eine Firma leiten? Nicht ganz ohne...
Vor diesem Hintergrund habe ich mir diese Option damals gründlich durch den Kopf gehen lassen. Ich weiss noch gut, wie ich an einem kühlen Novemberabend ziellos durch Bern schlenderte und verschiedene Gedanken rund um dieses Stellenangebot durchspielte. Welche Kompetenzen braucht es für diese Stelle und welche davon decke ich ab? Wo würde ich ins kalte Wasser springen müssen? Bin ich bereit dafür und kann ich das überhaupt? Ich war schon damals jemand, der Herausforderungen liebte. Ich war mir jedoch auch bewusst, dass die Liebe zu Herausforderungen die Gefahr birgt, sich zu übernehmen. Nach gründlicher Abwägung kam ich damals zum Schluss, dass ich die wichtigsten Fähigkeiten mitbringe und mir auch ein paar Runden schwimmen im kalten Wasser nichts ausmachen würden (im übertragenen Sinne - in der Realität nur mit Neopren-Anzug) und nahm die Stelle an. Im Nachhinein betrachtet war dies einer der besten Entscheide, die ich je gefällt habe.
Die darauffolgenden eineinhalb Jahre als Geschäftsleiter dieses Logistikunternehmens vergingen wie im Flug und waren an Intensität, Herausforderungen, Spass und Lerneffekt kaum zu überbieten. Es gab unzählige spannende, sehr viele schöne und auch einige schwierige Momente. Gemeinsam mit einem grossartigen Team führten wir damals den Turnaround des Unternehmens erfolgreich herbei und fusionierten die beiden Geschäftsbereiche im Anschluss in zwei grössere Unternehmen. Mission accomplished!
Im Anschluss lehnte ich einige Job-Angebote höflich ab und erfüllte mir einen Traum durch eine mehrmonatige Reise, auf welcher ich die gewonnenen Erfahrungen eingehend reflektieren konnte. 20 Learnings habe mich mir aufgeschrieben. Einige davon beziehen sich auf mein damals junges Alter in Kombination mit der Führungsaufgabe, von welchen ich nachfolgend drei teilen möchte. Diese waren wichtige Erfolgsfaktoren für mich, um das Unternehmen in jungem Alter in einen erfolgreichen Turnaround zu führen und ich bin sicher, dass diese auch heute noch zutreffen.
1. Authentischer CEO > Modell-CEO
Als junger angehender Geschäftsleiter, der vorher keine vergleichbare Position innehatte, fragte ich mich damals, in welchen Aspekten ich mich verändern müsste, um der Rolle des CEO gerecht zu werden. Ein einfaches Beispiel: Ich überlegte mir, ob ich jeden Tag eine Stunde früher als normal aufstehen sollte, da klassische Unternehmensleiter ja bekanntlich sehr früh aufstehen (und häufig auch Marathons absolvieren – soweit wäre ich allerdings nicht gegangen). Mir wurde allerdings schnell klar, dass solche Anpassungen an ein CEO-Modellschema nicht erforderlich sind und sogar kontraproduktiv wären. Schliesslich war mir diese Position basierend auf dem Gesamtpaket aus meinen Fähigkeiten, meiner Persönlichkeit und meinen Arbeitsweisen zugetraut worden – und da war weder ein ultra-frühes Aufstehen am Morgen noch das Absolvieren eines Marathons dabei. Viel wichtiger als sich in das Modell-Schema eines Unternehmensleiters zu quetschen, ist es, sich selbst treu zu bleiben und authentisch zu sein.
Authentizität ist für jeden Menschen wichtig und als Geschäftsleiter umso wichtiger. Authentizität bedeutet nicht Perfektion, sondern die Akzeptanz und den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Dies erlaubt den Mitarbeitenden einschätzen zu können, mit wem sie es zu tun haben und bildet die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen. Genauso wie ein Geschäftsleiter seinen Mitarbeitenden vertrauen können muss, müssen auch Mitarbeitende dem Geschäftsleiter vertrauen können. Dies schafft Sicherheit und ist wichtig, damit Mitarbeitende sich entfalten können. Die meisten Menschen merken rasch, wenn sich jemand verstellt. Dies führt zu Misstrauen. Und Misstrauen führt seinerseits dazu, dass sich Menschen vorsichtig und zurückhaltend verhalten, wodurch Initiative, Motivation und Transparenz verloren gehen.
Bleibe dir selbst treu und sei authentisch, auch wenn du damit nicht perfekt in das in der Öffentlichkeit und aus Filmen bekannte Modell-Schema des Unternehmensleiters passt.
2. Das Alter spielt keine Rolle, Wertschätzung dagegen umso mehr
Vor dem Stellenantritt habe ich mich gefragt, wie die Mitarbeitenden wohl auf einen jungen Geschäftsleiter reagieren werden. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es für eine 50-jährige erfahrene Führungsperson nicht einfach ist, wenn diese einen 29-jährigen Geschäftsführer ohne langjährige Erfahrung quasi vor die Nase gesetzt bekommt. Interessanterweise spielte mein Alter für die Mitarbeitenden jedoch zu keiner Zeit eine Rolle. Die Akzeptanz und der Respekt mir gegenüber waren zu jeder Zeit gegeben. Ich führte dies einerseits auf professionelle und respektvolle Mitarbeitende zurück und andererseits auf meinen Umgang mit den Mitarbeitenden. Anerkennung und Wertschätzung sowie die Einstellung, dass man von jedem Menschen, egal in welcher Position dieser tätig ist, etwas lernen kann, waren für mich schon damals zentrale Prinzipien im Umgang mit allen Menschen. Kein Mensch ist mehr wert als ein anderer, nur weil er eine höhere hierarchische Position in einer Organisation inne hat.
Menschen sind individuelle Wesen, teilen jedoch ähnliche Bedürfnisse. So ist das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung in nahezu allen Menschen verankert. Mitarbeitende streben nach emotionaler und intellektueller Anerkennung. Auf emotionaler Ebene möchten Mitarbeitende als Individuen und basierend auf ihrer Persönlichkeit respektiert und wertgeschätzt werden und dies unabhängig von der Hierarchie. Auf intellektueller Ebene streben Menschen danach, dass ihre Ideen und Gedanken gefragt sind und andere ihnen die intellektuelle Kapazität zutrauen, um ihnen ihre Gedanken zu erklären. Ein wertschätzender Umgang mit Mitarbeitenden ist deshalb für jede Führungskraft und jeden Geschäftsleiter und insbesondere in der Interaktion zwischen jüngeren Führungskräften und älteren Mitarbeitenden zentral. Wichtig dabei ist, dass die Wertschätzung und Anerkennung auch tatsächlich so gemeint sind. Auch hier erkennen Menschen sehr schnell, wenn ihnen etwas vorgespielt wird. Eine auf Wertschätzung basierende Unternehmenskultur steht auch nicht im Widerspruch zu Ziel- und Leistungsorientierung, sondern unterstützt diese, indem sie zur Motivation der Mitarbeitenden beiträgt.
Lebe Respekt, Anerkennung und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden vor, dann wird dein Alter für die Mitarbeitenden keine Rolle spielen.
3. Konsequentes Nachfragen bei Unwissenheit > SATA-Prinzip
Eine Mitarbeiterin erzählte mir etwas von einem innerbetrieblichen Prozess, den ich nicht kannte. Sollte ich nun das SATA-Prinzip (selbstbewusstes Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit) anwenden und damit den kompetenten CEO markieren oder nachfragen und die Mitarbeiterin bitten, mir den Prozess zu erklären? Die Antwort scheint logisch und trotzdem kennen wir wohl alle das unangenehme Gefühl, wenn andere von uns erwarten, dass wir etwas wissen sollten, wir es jedoch nicht wissen. Es kann verlockend sein, in einer solchen Situation das Wissen vorzugaukeln, um dem unangenehmen Gefühl auszuweichen. Zielführend ist es aber nicht, da in diesem Fall das Wissen nicht aufgebaut wird und wir in Zukunft allenfalls wieder vor demselben Problem stehen. Ich habe mich damals von Anfang entschieden, immer nachzufragen, wenn ich etwas nicht kannte und dies auch auf die Gefahr hin, dass mir in einzelnen Situationen Kenntnisse von Mitarbeitenden allenfalls abgesprochen würden. Interessanterweise hatte ich nie das Gefühl, dass diese Gefahr auch tatsächlich eintrat. Gerade in jungem Alter ist es logisch, dass man nicht in jedem Themenbereich eines Unternehmens über ein spezialisiertes Wissen und langjährige Erfahrung verfügt. Auch die Ernennung zum Geschäftsleiter ändert diese Tatsache nicht. Und der springende Punkt ist, dass dies auch allen Mitarbeitenden bewusst ist. Obwohl ich nie etwas über mein Alter kommuniziert hatte und damals (und vermutlich auch heute) um einige Jahre älter aussah, als ich tatsächlich war, war natürlich allen Mitarbeitenden bewusst, dass ich nicht bereits 20 Jahre Geschäftsleitungserfahrung hatte und bereits zu Beginn über jeden Teilprozess des Unternehmens im Detail Bescheid wissen konnte. Kompetenzen wurden mir deswegen nicht abgesprochen. Für die Mitarbeitenden war damals in erster Linie wichtig, ob ich als Geschäftsleiter einen wertschätzenden Umgang mit ihnen pflegte und in der strategischen Führung des Unternehmens überzeugte.
Das konsequente Nachfragen einer geschäftsleitenden Person, wenn ihr etwas unbekannt ist, hat drei wichtige positive Effekte. Erstens kann sie sich dadurch viel Wissen und Kompetenzen in bis dato unbekannten Themenfeldern aufbauen. Zweitens empfindet es die angefragte Person als intellektuelle Anerkennung. Sie merkt, dass sie wichtiges Wissen besitzt und dies anerkannt, ja sogar nachgefragt wird. Deshalb teilen Mitarbeitende ihr Wissen auch gerne. Und drittens wirkt es sich positiv auf das Verhalten der Mitarbeitenden und auf die Unternehmenskultur aus. Den Mitarbeitenden wird bewusst, dass auch sie nachfragen dürfen, wenn sie etwas nicht wissen. Und dieses Verhalten der Mitarbeitenden ist gerade für Entscheidungsträger zentral, denn diese basieren ihre Entscheidungen häufig auf Informationen von Mitarbeitenden. Wenn Mitarbeitende ungeniert zugeben dürfen, dass sie etwas nicht wissen, steigert dies den Wahrheitsgehalt der von ihnen übermittelten Informationen und die Qualität der darauf beruhenden Entscheide.
Frage ungeniert nach, wenn du etwas nicht weisst, lerne kontinuierlich und verhilf dadurch zu einer Kultur der Ehrlichkeit und des Lernens im Unternehmen.