
Die Macht der Zahlen: Warum zahlenbasierte Unternehmensführung unverzichtbar ist
Vor einiger Zeit analysierte ich ein Unternehmen, das jährlich erhebliche Verluste erwirtschaftete. Im Unternehmen gab es viele Vermutungen über die Gründe: schwierige Marktsituation, zu viele kleine Kunden mit geringem Umsatz, zu wenig Grosskunden, um profitabel zu arbeiten – die klassischen Annahmen. Doch abgesehen von ein paar Zahlen aus der Erfolgsrechnung und der Bilanz sowie der Kundenreklamationsquote wurden keine weiteren relevanten Kennzahlen erfasst und getrackt.
Ich führte daraufhin eine Produktivitätsrechnung bis auf Kundenebene ein – mit überraschendem Ergebnis: Der komplette Verlust war auf einen einzigen Kunden zurückzuführen – und zwar auf den grössten. Entgegen den Vermutungen waren nicht die kleinen Kunden unprofitabel, sondern der grösste Kunde deckte nicht einmal seine direkten Kosten. Dieses Beispiel zeigt: Zahlen erzählen vielleicht nicht immer die ganze Geschichte, aber ohne eine fundierte Zahlenbasis bleibt Unternehmensführung oft blosse Spekulation.
Intuition hat ihren Platz – aber reicht nicht aus
Es gibt Unternehmen, die rein intuitiv geführt werden und trotzdem gute Ergebnisse erzielen. Besonders in wachsenden Märkten kann das durchaus funktionieren – bis zu einem gewissen Punkt. Ich habe selbst einige Unternehmen gesehen, die ohne datenbasierte Entscheidungen erfolgreich waren, aber sobald der Markt gesättigt oder schrumpfend wurde, traten Probleme auf. Sie brauchten dann oft einen drastischen Turnaround. Und auch in wachsenden Märkten bin ich überzeugt, dass die Kombination aus Intuition und zahlenbasierter Führung bessere Ergebnisse liefert.
Zahlenbasierte Führung bedeutet nicht, sich den Zahlen zu unterwerfen
Wichtig ist zu verstehen: Zahlenbasierte Unternehmensführung bedeutet nicht, Entscheidungen rein mechanisch, emotionslos und ausschliesslich auf Grundlage von Zahlen zu treffen. Es geht vielmehr darum, durch präzise Zahlen abschätzen zu können, wie sich Marktentwicklungen und getroffene Entscheide auf das Unternehmen auswirken. So lassen sich Probleme und Optimierungspotenziale frühzeitig erkennen. Die endgültigen Entscheidungen sollten weiterhin unter Berücksichtigung strategischer und menschlicher Faktoren getroffen werden – allerdings auf einer soliden, zahlenbasierten Grundlage.
Die Vorteile der zahlenbasierten Unternehmensführung
Das regelmässige Erfassen und Analysieren von Schlüsselkennzahlen bringt klare Vorteile:
- Früherkennung von Risiken: Potenzielle Probleme lassen sich identifizieren, bevor sie zu grossen Schäden führen. Nur allzu oft wünschen sich Unternehmen, welche sich in einer Turnaround-Situation befinden, dass sie eine solide Zahlenbasis und relevante Kennzahlen zur Verfügung gehabt hätten, um die Risiken frühzeitig zu erkennen...
- Fundierte Entscheidungen: Entscheidungen werden auf einer objektiveren und fundierteren Informationsbasis getroffen. Korrekte Zahlen liegen nie falsch. Wenn sie richtig interpretiert werden, bilden sie die Basis für geschickte Unternehmensentscheidungen und machen deren Folgen vorhersehbar.
- Ausgleich zwischen Rationalität und Empathie: Zahlen liefern eine logisch-rationale Perspektive, die emotionale oder intuitive Schlussfolgerungen ergänzt und herausfordert. Wir sind Menschen, keine rationalen Maschinen. Bei unseren Ansichten spielen Emotionen immer eine Rolle. Zahlen helfen uns, diese zu hinterfragen und zu relativieren.
- Systematische Verbesserungen: Durch die Arbeit mit klaren Kennzahlen lassen sich gezielt Optimierungen vorantreiben, die eine grosse Hebelwirkung auf das Unternehmensergebnis haben. Wenn z.B. die Umwandlungsrate von neuen Leads um 5% erhöht werden kann, wird sich dies im Unternehmensergebnis deutlich bemerkbar machen. Die Energie kann auf die Verbesserung der spezifischen Kennzahl fokussiert werden und die Ergebnisse werden messbar.
- Untermauern von Entscheiden: Zahlen schaffen eine objektive Basis, die Entscheidungen transparent und nachvollziehbar macht. Dies erzeugt Klarheit in der Kommunikation mit Kunden, Mitarbeitenden, Lieferanten und dem Verwaltungsrat.
Auf den letzten Punkt möchte ich noch genauer eingehen, da beim Einsatz von Zahlen in der Kommunikation Vorsicht geboten ist. Wie oben erwähnt können Zahlen in der Kommunikation für Klarheit sorgen und die Objektivität von Entscheiden bekräftigen. Eine Kommunikation, welche nur auf Zahlen basiert, kann jedoch schnell kalt und unpersönlich wirken. Hier ist die Balance zwischen zahlenbasierter und empathischer Kommunikation entscheidend.
Ein prägnantes Beispiel aus einer Zeit, in der ich ein Unternehmen interimsmässig als Geschäftsführer leitete, verdeutlicht dies: Wir mussten bei einem wichtigen Kunden die Preise erhöhen und besuchten den Kunden, um ihm dies mitzuteilen. Die Situation war angespannt, denn es handelte sich um eine erhebliche Erhöhung, und der Kunde war bereits lange Partner des Unternehmens. Um die Notwendigkeit der Preiserhöhung zu bekräftigen, entschieden wir uns, dem CEO und COO des Kunden einige unserer Unternehmenskennzahlen zu zeigen. Wir legten dar, wie sich die Kostenstruktur verändert hatte und warum die Preiserhöhung unvermeidlich war. Die Transparenz schuf Vertrauen – aber die Reaktion war zunächst heftig. Der CEO sagte uns direkt, dass sie sofort prüfen würden, ob sie die Leistung nicht selbst günstiger erbringen könnten. In dem Moment hätten sich wohl viele Unternehmen defensiv verhalten und die Effizienz ihrer Leistungen verteidigt. Wir reagierten jedoch anders. Ich erwiderte: „Das ist eine gute Idee. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich das ebenfalls prüfen.“ Dieser Satz überraschte sie, und es entstand eine kurze Stille im Raum. Ich führte weiter aus, dass es immer sinnvoll sei, zu wissen, wie viel eine Leistung im eigenen Unternehmen kosten würde, um in Verhandlungen eine starke Position zu haben. Und wenn mir ein Lieferant eine erhebliche Preiserhöhung ankündigen würde, würde ich dies ebenfalls prüfen. Ab diesem Moment änderte sich die Stimmung im Raum. Wir hatten nicht nur mit Zahlen die Notwendigkeit der Preiserhöhung bekräftigt, sondern auch die Position und Sichtweise des Kunden anerkannt und uns in ihn heinversetzt. Diese Kombination aus Zahlen und Empathie führte letztlich nicht nur dazu, dass der Kunde die Preiserhöhung akzeptierte, sondern verbesserte auch die Kundenbeziehung.
Veränderungen in den Kennzahlen hinterfragen
Ich habe schon oft beobachtet, dass Führungskräfte in derselben Weise auf den EBIT schauen wie Besucher von Gladiatorenkämpfen im römischen Reich auf den Daumen des Cäsars: Sie schauen, ob er nach oben oder nach unten zeigt. Was die Gründe dahinter sind, erscheint weniger wichtig. Das reicht jedoch nicht aus. Die Ursachen müssen verstanden werden. Jede Veränderung in den Kennzahlen hat konkrete Gründe im operativen Geschäft. Wer diese nicht versteht, riskiert, falsche Entscheidungen zu treffen. Nehmen wir wieder das Beispiel aus der Einleitung. Eine Verschlechterung des EBIT hätte dieses Unternehmen wohl dazu verleitet, zu versuchen, die Anzahl Transaktionen mit dem grössten Kunden zu erhöhen, obwohl genau das der Grund für die Verschlechterung des EBIT war, da das Unternehmen mit jeder Transaktion mit diesem Kunden Geld verlor. Eine fundierte Unternehmensführung setzt voraus, dass die Beziehungen zwischen Kennzahlen und operativen Tätigkeiten verstanden werden.
Die Kostenblöcke nicht vernachlässigen
Der Umsatz ist eine der wichtigsten Kennzahlen im Unternehmen. Ohne Umsatz existiert kein Unternehmen. Dennoch dürfen auch die Kosten nicht vernachlässigt werden. Zu hohe Kosten führen zu einer kleineren Marge oder einem höheren Preis, was die Wettbewerbsposition schmälert. Aus meiner Erfahrung kennen die meisten Unternehmensführer:innen die Umsatzkennzahlen sehr gut. Bei den Kosten sieht es jedoch anders aus. Hier fehlt häufig das Wissen, was sich hinter den einzelnen Kostenblöcken verbirgt, ob diese überhaupt notwendig sind und ob es günstigere Alternativen gäbe. Es ist entscheidend, dass dieses Wissen vorhanden ist und für die Unternehmensführung genutzt werden kann. In einem durchschnittlichen Unternehmen könnten die Kosten um 10-30% reduziert werden und dies ohne Einbussen bei der Leistungserbringung für die Kunden. Um diese Potenziale zu realisieren, braucht es jedoch ein tiefes Verständnis über die Kostenblöcke. Und dieses Wissen sollte nicht nur beim CEO und CFO vorhanden sein, sondern auch bei den Abteilungsleitenden, die die Kostenblöcke und damit auch die Verbesserungspotenziale ihrer Abteilungen kennen sollten.
Schlüsselkennzahlen in wichtigen Bereichen tracken
Zum Schluss möchte ich noch zwei Bereiche hervorheben, in denen Kennzahlen eine besondere Rolle spielen: Marketing/Vertrieb und Einkauf/Logistik. Marketing und Vertrieb sind in direktem Kontakt mit der Lebensader des Unternehmens: den Kunden. Kennzahlen wie z.B. die Anzahl neuer Leads, Umwandlungsraten und Customer Lifetime Value sollten ständig getrackt und verbessert werden. Eine Verbesserung dieser Kennzahlen hat einen enormen Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Die Bereiche Einkauf und Logistik sind in Produktionsunternehmen sehr kostenintensiv. Sie bieten deshalb sehr grosse Potenziale für Kosteneinsparungen durch Effizienzsteigerungen, welche sich direkt auf den Gewinn auswirken. Deshalb ist auch in diesen Bereichen das Tracken von Schlüsselkennzahlen entscheidend.
Fazit: Zahlen sind eminent wichtig für den Unternehmenserfolg
Zahlenbasierte Unternehmensführung bietet weit mehr als nur eine rationale Grundlage für Entscheidungen. Sie schafft Klarheit, deckt Risiken frühzeitig auf und ermöglicht gezielte Verbesserungen, die das Unternehmen voranbringen. In Kombination mit Empathie und strategischem Denken führt sie nicht nur zu besseren Ergebnissen, sondern stärkt auch die Kommunikation zu Kunden, Mitarbeitenden und Partnern.
Unternehmen müssen sicherstellen, dass die relevanten Kennzahlen nicht nur erfasst, sondern auch richtig interpretiert werden. Nur so lassen sich operative und strategische Entscheidungen fundiert treffen. Ohne eine solide Zahlenbasis bleibt Unternehmensführung blinde Spekulation – und das kann sich kein Unternehmen leisten.
Wer langfristig erfolgreich sein will, kommt an präzisen und aussagekräftigen Zahlen nicht vorbei.